Velorouten in Hamburg – was ist das, und wozu sind sie gut?
Ein Rückblick: Um die Jahrtausendwende habe ich in Hamburg studiert. Damals fuhr ich jede Strecke bei jedem Wetter mit dem Rad, weil U-Bahn-Fahrkarten Geld kosten. Es ging öfters weit, von Barmbek nach Altona, von Eimsbüttel nach Fuhlsbüttel, und natürlich kreuz und quer in der Innenstadt. Radwege sind in meiner Erinnerung fünfzig Zentimeter breite Streifen auf Fußwegen, die eigentlich immer von den Wurzeln der Stadtbäume in Buckelpisten verwandelt waren. An den großen Kreuzungen musste man kreativ werden bei der Auslegung der Verkehrsregeln – oft war es einfach unmöglich, hinüberzukommen, ohne Fußgänger oder sich selbst zu gefährden.
Fahrradrouten in Hamburg: Damals und Heute
Heute stellt sich das Bild anders dar: Immer noch die ein oder andere enge Stelle, aber oft angenehm breite Radwege, eigene Fahrradampeln und -spuren an den großen Knotenpunkten. Sollte den Verkehrsplanern aufgefallen sein, was inzwischen meine feste Überzeugung ist: Dass das Fahrrad das perfekte Verkehrsmittel für die Großstadt ist? Es stinkt nicht, lärmt nicht, beansprucht kaum Platz und bietet der Fahrerin ein intensives Stadterlebnis: Man spürt Wind, Sonne und Regen, man sieht andere Menschen und nicht nur Motorhauben, man bekommt einfach viel mehr von der Stadt mit, in der man lebt und sich bewegt.
Andererseits höre ich immer wieder die gleichen Argumente im Kollegenkreis: Radfahren in der Stadt ist einfach zu gefährlich. Radfahrer sind irre Rowdies, die sich an keine Regeln halten. Das Rad ist ein Sportgerät, kein Verkehrsmittel. Ein Kollege kauft sich ein teures Rad, bockt es in seinem Wohnzimmer auf, strampelt beim Fernsehen – und fährt weiter mit dem PKW zur Arbeit. Wie bringt man die Hamburger auf’s Rad?
Tatsächlich hat Hamburg seit 2007 eine “Radverkehrsstrategie”, und darin stehen etliche gute Gründe für mehr Rad: Radfahren ist kostengünstig, sowohl für die Radfahrerinnen als auch für die Stadt, die wesentlich weniger Geld für gute Radinfrastruktur ausgeben muss als für andere Verkehrsmittel. Es ist ein Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz, es belebt die Stadtteilzentren und verbessert die Lebensqualität. Also soll in Hamburg zum einen das Image des Radfahrens verbessert werden, und zum anderen werden die Radwege ausgebaut, denn, wie es in der Radverkehrstrategie heißt: “Niemand soll aus Gründen eines subjektiven Unsicherheitsgefühls auf eine Verkehrsteilnahme mit dem Rad verzichten müssen.” Das Fahrrad in der Stadt soll kein Statement für Überzeugungstäter sein, sondern eine vernünftige Option, um von A nach B zu kommen.
Hamburgs Velorouten
Hier kommen die Velorouten ins Spiel. Der Übersichtsplan ähnelt auf den ersten Blick dem HVV-Plan, denn genau wie mit den Öffis soll man mit dem Rad von allen Außenbezirken zügig in die Stadt gelangen. Es gibt zwölf sternförmig nach außen strebende Strecken und zwei Ringstrecken. Alle Routen sollen sicher, komfortabel und zügig befahrbar sein, entweder in Nebenstraßen wie Tempo-30-Zonen auf der Straße oder in Grünanlagen auf Radwegen. An Kreuzungen soll der Verkehr so geführt werden, dass Radfahrer keinen Grund haben, sich nicht an die Verkehrsregeln zu halten. Die hehren Pläne sind leider noch nicht vollständig umgesetzt, aber seit 2008 kommen jedes Jahr zwischen 10 und 40 km Strecke dazu (mit steigender Tendenz). Das gesamte Netz von 280 km Länge soll bis 2025 fertiggestellt sein. Leider erst dann sollen die Velorouten auch durchgängig beschildert werden. Bis dahin sollte man sich vorher die Beschreibungen der Routen (inklusive Daten für die Navigation) hier anschauen. Interessante Informationen zum Ausbauzustand gibt es auch hier.
Ich beschließe, einen Test durchzuführen. Seit Corona fahre ich mit dem Rad zur Arbeit, um die U-Bahn zu vermeiden. Viele andere Hamburger tun das übrigens auch, in der Zeit von März bis Dezember 2020 hat der Radverkehr um 33 % zugenommen. Ein positiver Nebeneffekt von Corona, der hoffentlich erhalten bleiben wird. Bisher fahre ich eine Strecke, die ich mir einmal ausgeguckt habe, genieße die hübscheren Teile und nehme die unangenehmen in Kauf. Vielleicht ist es mit Veloroute besser? Tatsächlich lässt sich mein Arbeitsweg von Langenhorn nach Barmbek auf weiten Strecken mit den Velorouten 5 und 4 abdecken. Beim nächsten Heimweg starte ich den Selbstversuch!
Auf Veloroute 5 & 4 von Barmbek nach Langenhorn
Ich radle ein kleines Stück am Osterbekkanal entlang, dann biege ich auf die Saarlandstraße und damit auf die offizielle Veloroute 5 ein. Der Radweg ist vorhanden, aber das Stück neben dem Stadtpark ist echt schmal und eher holprig. Zum Glück sind hier nicht viele Fußgänger unterwegs, dafür ist die Straße vierspurig. Wie war das mit den ruhigen Nebenstrecken? Aber alles wird anders, nachdem ich kurz vor dem Ring 2 ins neu entstehende Pergolenviertel abbiege. Hier ist der Radweg eine komfortabel zweispurige Fahrradstraße, die Autos hört man zwar auf dem Ring vorüberrauschen, aber zu sehen sind keine. Dafür kann man die neue Hamburger Architektur bewundern. Große Gebäude in Blockrandbebauung mit riesigen ovalen Torbögen zu den Innenhöfen hin. Offensichtlich sind viele junge Familien eingezogen, man sieht einige Eltern, die mit ihren Sprösslingen unterwegs sind. Manche sogar schon mit den Fahrrad! Die Umgebung ist angenehm ruhig, wenn auch noch etwas steril mit den frisch angepflanzten Bäumchen und Rabatten. Die Kleingärten wirken verloren neben den hohen Gebäuden. Eine interessant zu erfahrende Ecke.
Leider währt die Herrlichkeit nur ungefähr einen Kilometer, dann bin ich zurück im Hamburger Stadtverkehr und fahre – jetzt auf der Veloroute 4 – die Sengelmannstraße entlang. Der Radweg ist breit und anständig zu befahren, nur die vierspurige Straße trübt wieder das Fahrvergnügen. Ich komme zügig voran, überquere die Alster und biege nach zwei Kilometern rechts ab in den Suhrenkamp.
Das ist eine Nebenstraße, links Gewerbegebäude, rechts Wohnhäuser, und dann plötzlich die JVA Fuhlsbüttel. Das beeindruckende Portal ist im Vorbeifahren gut zu bewundern, ebenso wie die stacheldrahtgekrönten Mauern. Aufregend, aber ich bin froh, dass ich weiterfahren darf nach Hause. Einen Radweg gibt es hier nicht, das ist auch nicht nötig, da kaum Verkehr. Am Ende des Suhrenkamp biege ich ein in den Fuhlsbütteler Damm, eine nette kleine Straße mit langgestreckten Mehrfamilienhäusern, im Moment leider eine langgestreckte Baustelle wegen – des Ausbaus der Veloroute. Macht nichts, ich mogele mich irgendwie durch. Es gäbe zwar eine Umleitung, aber meine Mission heute ist es, dem Streckenverlauf zu folgen!
Nach einem kleinen Kreisel komme ich auf den Erdkampsweg und fahre auf dem Radstreifen am Rand der Fahrbahn. Ein bisschen eng, und ich muss aufpassen, mich von den vielen kleinen netten Läden an dieser Straße nicht zu sehr ablenken zu lassen. Es sind nur 300 m, aber da ist viel zu sehen. Schnell wieder runter von der Hauptstraße, abbiegen in den Wacholderweg.
Entspannung auf Hamburgs Velorouten
Ab hier beginnt der entspannte Teil der Fahrt. Zu beiden Seiten gepflegte Häuser, dann ein kleiner Park. Ganz kurz nochmal Urbanität, als ich über den Bergkoppelweg in den Kleekamp abbiege und dabei an der U Fuhlsbüttel vorbeikomme. Dann den Kleekamp entlang: Hübsche Häuser, hohe Bäume, ein Konzert von Vögeln in der Abendsonne. Da lässt es sich leben! Und Radfahren. Auch hier gibt es mangels Notwendigkeit keinen Radweg, und auch hier kommt noch eine Baustelle, aber das hebt nur die Vorfreude auf diese zukünftige Radausfallstraße. Wieder ein kleiner Kreisel, den ich diesmal in Richtung Ohkamp verlasse. Es bleibt ruhig und grün, nur mit größeren Wohnblöcken statt Einfamilienhäusern. Aus irgendeinem Grund entspannt mich das – vielleicht weil ich wieder das Gefühl habe, durch eine Großstadt zu fahren.
Den nächsten Kreisel durchfahre ich geradeaus und erhasche dabei links einen Blick auf die U Fuhlsbüttel-Nord. Es überrascht mich, wie weit ich schon bin. Der fehlende Stress durch den Autoverkehr hat die Strecke kürzer wirken lassen. Und es geht weiter so: Moorreye und Höpen bieten nach Norden hoch weiter Einfamilienhäuser mit reichlich Grün dazwischen. Das letzte Stück zum Langenhorner Markt, direkt an der U-Bahn-Strecke entlang, ist ein selbständiger Radweg.
Hier verlasse ich die Veloroute und strebe der Heimat zu. Trotz der Baustellen hat die Fahrt nicht länger gedauert als meine übliche Strecke. Ich habe Teile Hamburgs entdeckt, die abseits der Hauptstraßen liegen, und ich komme deutlich entspannter zuhause an.
Das war nicht die letzte Veloroute, die ich gefahren bin! Velorouten sind eine feine Sache, man sollte sie erkunden und fleißig nutzen, um sicher und gut gelaunt mit dem Rad in alle Ecken Hamburgs zu gelangen. Nutzt Ihr schon Velorouten? Welche führen bei Euch vorbei? Ich bin gespannt auf Eure ErFAHRungen in den Kommentaren!