Vielleicht habt Ihr es schon irgendwo gehört oder gelesen: Der hvv plant eine neue App. „hvv any“ soll sie heißen. Was ist der Unterschied zur App hvv switch, die viele schon nutzen? Für wen ist hvv any gedacht, und ab wann kann ich sie nutzen? Über diese Fragen habe ich mit Constanze Dinse von der Hochbahn und Silke Seibel vom hvv gesprochen.

Die App kauft mir mein Tagesticket

Der hvv ist schon ein beeindruckendes System. 28 Verkehrsunternehmen, mehr als 700 Linien, die ein Gebiet mit 3,5 Millionen Einwohner*innen abdecken. Jederzeit kann ich irgendwo einsteigen und mich mit einem Mix aus Verkehrsmitteln an mein Ziel bringen lassen. Dabei leitet mich mein Handy mittels der hvv switch-App. hvv any soll das Reisen ab dem (hoffentlich bald) kommenden Frühjahr noch einfacher machen, indem es sich um das Ticket kümmert. Dann brauche ich bloß noch einzuchecken, sobald ich meine erste Fahrt beginne. Wenn ich mich nicht mehr mit dem hvv bewege, meldet die App mich automatisch ab. Am nächsten Tag wird der günstigste Preis für die gefahrene Route abgebucht.

In anderen Städten kann man seine Fahrten bereits auf diese Weise zahlen. Wer einmal in London die U-Bahn benutzt hat, kennt die Oyster Card. In München läuft seit Herbst 2020 ein zweijähriges Testprojekt, und in NRW gibt es im Rhein-Ruhr-Verkehrsverbund bereits ein voll nutzbares e-Ticket. Auch in der estnischen Hauptstadt Tallinn kann das Smartphone die Fahrkarte ersetzen. Nun soll es auch in Hamburg und Umgebung soweit sein.

hvv any, made by Hochbahn

Constanze Dinse von der Hochbahn weiß bestens Bescheid über hvv any, weil die Hochbahn die neue App für den gesamten hvv entwickelt und für die technische Umsetzung zuständig ist. Eine interessante Aufgabe, denn, so Dinse, der hvv ist mit mehr als 25 beteiligten Unternehmen, verteilt über drei Bundesländer und 6 Landkreise, der größte Verkehrsverbund weltweit (!), der eine solche Ticketing-Lösung einführen will. Außerdem sind die Verkehrsnetze in den verschiedenen Bereichen sehr unterschiedlich – in den ländlichen Kreisen liegen die Buslinien vergleichsweise weit auseinander, während in der Stadt neben Bussen auch U- und S-Bahnen unterwegs sind, außerdem Sammeltaxis und Carsharing-Autos.

Bushaltestelle im Grünen, und im Regen.
Eher Außenbereich: Einsame Bushaltestelle im Grünen

In den Außenbereichen ist es deshalb einfach, per GPS festzustellen, in welchem Bus der Fahrgast sitzt. In der Innenstadt nicht; dort reicht die „Auflösung“ von GPS nicht aus, und in tiefen U-Bahn-Stationen funktioniert GPS sowieso nicht. Als Paradebeispiel für die Schwierigkeiten nennt sie die Station Jungfernstieg: groß, voll, und tief unter der Erde. Wie das Problem lösen? Über mehrere Monate testete die Hochbahn verschiedene Systeme. Die Entscheidung fiel für eine Kombination aus GPS-Technologie und sogenannten „Beacons“ – Bluetooth-Empfängern, die an Orten, wo es mit GPS nicht funktioniert, die Position eines Smartphones bis auf einen halben Meter genau bestimmen können. Da die Geräte nur empfangen und nicht senden, verbrauchen sie kaum Energie – das fällt im Vergleich zum Verbrauch der Bahnen selbst wirklich nicht ins Gewicht.

Smartphone muss sein – und ein!

Damit ist aber auch klar: Ohne Smartphone kann ich das System nicht benutzen. Ortungsdienste und Bluetooth müssen für die gesamte Fahrt aktiviert sein. Wenn der Akku während der Fahrt den Geist aufgibt, hilft nur eins: raus aus der Bahn und ganz altmodisch ein Papierticket kaufen! Sonst fährt man schwarz, und bei einer Kontrolle wird es teuer. Aber den Akkustand haben wir doch eh schärfer im Auge als unseren Kontostand, oder?!

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Wie heißt es so schön? Testen, Testen, Testen

Zur Zeit läuft der Beta-Test. Eine ausgewählte Gruppe von Probefahrern reist im gesamten hvv-Gebiet herum und versucht dabei, möglichst komplizierte Strecken und Umstiege zu wählen, damit das System nach und nach auch die schwierigsten „use-cases“ in den Griff bekommt. Auf meine Nachfrage, wie es denn laufe, erklärt Constanze Dinse, dass es zwei Aspekte gibt: Erstens, wird das korrekte Ticket für die gefahrene Strecke abgerechnet? Das funktioniert super. Zweitens, erkennt die App die gefahrene Strecke? Da hapert es noch etwas. Wir drücken die Daumen, dass bis zum anvisierten Start im Frühjahr jeder Beacon weiß, was er zu tun hat!

Es ist leider nicht möglich, beim Test mitzumachen, denn die Testergruppe ist geschlossen. Wir müssen uns also noch gedulden. Ob wir alle gleichzeitig das neue System installieren dürfen oder ob es separate Starts für verschiedene Nutzergruppen geben wird, ist zum jetzigen Stand auch noch nicht klar. Es bleibt also spannend, was genau im „Frühjahr 2022“ geschehen wird, schon der etwas wolkige Termin deutet darauf hin, dass noch nicht alle Herausforderungen endgültig bewältigt sind. Aber, so Constanze Dinse: Die Tests sind vielversprechend.

Hinweisschild Ausgang
hvv any weiß, wo Du aussteigst…

Und wo bleibt der Datenschutz?

Eine beliebte Frage: Was ist mit dem Datenschutz? Denn die App verfolgt meinen Weg durch die Metropole. Das muss sie tun, um ihren Zweck zu erfüllen. Was passiert mit diesen Daten? Hierzu kann Silke Seibel Auskunft geben. Zunächst: Die Daten werden selbstverständlich gemäß der DSGVO behandelt. Um die Rechnung erstellen und überprüfen zu können, müssen die Wege dem Konto oder der Kreditkarte zugeordnet werden, über die gezahlt wird. Die Daten werden sechs Monate gespeichert, damit man sich beschweren kann, falls etwas nicht korrekt abgebucht werden sollte.

Aber: Es werden nur einzelne Tages-Datensätze erstellt – es gibt also keinen Nutzer-Ordner, in dem man bequem alle meine Öffi-Wege im letzten halben Jahr nachschauen kann. Um aus den so gespeicherten Daten etwas herauszulesen, bräuchte man „eine extrem hohe kriminelle Energie“. Der hvv jedenfalls wird die Daten für nichts anderes als die Abrechnung verwenden. Hier, sagen beide Frauen, muss man dem hvv einfach vertrauen. Im Gegenzug gewinnt man den Komfort eines optimierten und vereinfachten Ticket-Systems. Tatsächlich, stelle ich fest, würde ich persönlich in diesem Punkt dem hvv vertrauen. Es greift das Paradox, dass wir anderen Datenkraken für ein bisschen Unterhaltung wesentlich mehr über uns verraten, aber bei heimischen Institutionen ein Grund-Misstrauen vorherrscht.

Der Weg in die Mobilitätswende ist mühsam, aber lohnend

Totale Kundenorientierung für die Mobilitätswende

Wozu das Ganze? Ein großes Schlagwort schwebt über allem: die Mobilitätswende. Es ist offensichtlich geworden, dass unsere Städte kollabieren werden, wenn sie weiter auf den Autoverkehr ausgerichtet bleiben. Also sollen die Autofahrer aufs Rad und in die Bahn gebracht werden. Der hvv möchte ein einheitliches und simpel zu handhabendes Interface bieten. So sollen auch Menschen, die bisher lieber Auto als Öffis fahren, einsteigen können, ohne darüber nachdenken zu müssen. Das klingt erstmal gut. Ergänzen könnte man das Ganze meiner Meinung nach durch kostenlose Schließfächer an allen Bahnhöfen, wo ich das Gepäck lassen kann, das sonst im Auto bleiben würde. Und um die Gemütlichkeit des rollenden Wohnzimmers zu ersetzen, könnte manche Bahn und Haltestelle noch komfortabler gestaltet werden. Das sind die nächsten Schritte, lieber hvv, ja?

Ab wann hvv any für alle verfügbar sein wird, ist derzeit noch nicht klar. Die App wird eine Alternative unter den mehr oder weniger digitalen und komfortablen Ticket-Lösung sein, und das ist angesichts der Viegestaltigkeit der hvv-Nutzer auch gut so. Wird es ihr gelingen, die Autofahrer aus ihrer Kiste zu locken? Es ist ungewiss, in Tallinn z.B. hat das nicht geklappt. Für Smartphone-Nutzer, die nur gelegentlich den ÖPNV nutzen, das hvv-Tarifsystem zu kompliziert finden und keine übergroßen Sorgen wegen Datenschutz haben, ist es auf jeden Fall eine Vereinfachung. Wie groß diese Gruppe ist, wird sich dann zeigen. Der hvv hat keine Prognose zur Erhöhung der Fahrgastzahlen abgegeben.