Ärgert ihr euch auch so über achtlos weggeworfene To-Go-Verpackungen und Kaffeebecher? Überquellende Mülleimer und vor sich hin gammelnde Reste von etwas, was mal ein Döner gewesen sein könnte? Die Holländer haben da ein treffendes Wort für: zwerfafval. Streunender Müll von Einwegessensverpackungen könnte schon bald ein Ding der Vergangenheit sein, wenn 2023 die Mehrwegpflicht in der Gastro eingeführt wird. Ganz uneigennützig (hust) habe ich für euch den Praxistest gemacht und verschiedene Mehrwegpfandsysteme ausprobiert.
Essen to go in der Zukunft
Mai 2023: Nach einem langem Workshoptag stehe ich vor dem imposanten Hauptgebäude des Hannoveraner Hauptbahnhofs. Mein Zug geht erst in einer halben Stunde, mein Magen knurrt. Ah, da vorne, das muss wohl der kleine Imbiss sein, von dem meine Kundin gesprochen hat. Ich betrete das kleine Lokal und stelle mich an. “Einmal die Nummer 7 ohne Zwiebeln bitte. Zum Mitnehmen.” “Mehrweg? Einweg kostet extra.” “Mehrweg bitte.”
Zwei Stunden später, mittlerweile mit gefülltem Magen, bin ich wieder in Hamburg. Eigentlich will ich das benutze Geschirr noch auf dem Weg zur S-Bahn wieder abgeben, doch der Stand, der die gleichen Pfandboxen anbietet, hat schon zu. Macht nichts, denke ich mir. Dann gebe ich es einfach morgen im Café bei uns um die Ecke ab.
Die Mehrwegpflicht für Gastronomie kommt
So oder so ähnlich stelle ich es mir vor, wenn ab 2023 alle Betriebe Essen to go in der Mehrwegverpackung anbieten müssen. Ich freue mich über das Gesetz. Jeden Tag fallen in Deutschland nämlich 770t Müll durch To-Go-Verpackungen an. Das sind plus minus 105.000 kleine oder 23.000 große Hamburger Wertstofftonnen. Täglich. Dabei ließe sich ein großer Teil dieses Mülls weitestgehend vermeiden, ohne dass wir dadurch auf leckeres Essen zum Mitnehmen verzichten müssen.
Bis das Gesetz 2023 greift, dauert es noch gut anderthalb Jahre. Doch immer häufiger sehe ich, dass Gastronom:innen jetzt schon Mehrwegverpackungen anbieten. Ich frage mich, ob sie ihrer Zeit voraus sind? Oder ist es 2021 in einer Weltstadt wie Hamburg schon total normal, den Coffee to go im Pfandbecher zu bestellen? Ich habe den Praxistest gemacht.
Mehrwegsysteme für Restaurants, Cafés & Co.
Ich habe mir also das Ziel gesetzt, das nächste Mal unser Essen in einer Mehrwegverpackung zu bestellen. Aber bei welchen Restaurants und Imbissen geht das eigentlich? Und woher weiß ich das? Muss ich den Mehrwegbehälter wieder im gleichen Lokal abgeben? Und was kostet der Spaß eigentlich? Kann ich auch meine eigene Dose mitbringen?
Fragen über Fragen. Die Antworten dazu habe ich unter anderem auf esseninmehrweg.de gefunden. Außerdem hat meine Freundin Friederike in ihrem Podcast Fairstainable Tim von Vytal interviewt. Grob gesagt gibt es drei verschiedene Mehrwegsysteme, die jeweils Vor- und Nachteile haben. Und die gucken wir uns jetzt mal an.
Variante 1: das traditionelle Pfandsystem
Wir kennen es vom Flaschenpfand oder dem Glühweinbecher auf dem Weihnachtsmarkt: Für einen kleinen Betrag leiht ihr euch einen Mehrwegbehälter aus. Bringt ihr den Behälter später wieder, gibt’s den Pfand zurück.
Einige Betreibende leihen ihre eigenen Mehrwegbehälter aus, andere haben sich einem Poolsystem angeschlossen. Der Vorteil: Ihr könnt die ausgeliehenen Boxen bei jedem Partnerbetrieb zurückbringen. So funktionieren u.a. RECUP (für Getränke) & REBOWL (für Essen), aber auch reCIRCLE & FairCup (für Becher) bzw. FairBox (für Boxen).
Variante 2: “kostenloser” Pfand
Die Anbieter Vytal, Relevo und ab Juni 2021 auch Tiffin Loop funktionieren etwas anders. Hierfür ladet ihr euch deren App herunter, erstellt einen Account und hinterlegt eure Kreditkarte. Das ist zwar etwas aufwändiger, dafür ist das Ausleihen der Mehrwegbehälter grundsätzlich erstmal kostenlos. Ihr habt dann 14 Tage Zeit, die ausgeliehenen Schüsseln oder Becher wieder zurückzugeben. Nur wenn ihr diese Deadline verpasst, wird eure Kreditkarte belastet. Dafür ist das Schwein dann aber auch gekauft und ihr dürft die Box behalten.
Variante 3: eigenen Behälter mitbringen
BYOB … bring your own box in diesem Fall. Das neue Gesetz macht bei sehr kleinen Betrieben eine Ausnahme. Sie müssen selbst keine Mehrwegverpackung anbieten, wenn ihre Kund:innen dafür eigene Behälter mitbringen dürfen. Das kennen wir ja jetzt schon von einigen Cafés, bei denen wir unsere bestellten Getränke in unsere mitgebrachten To-Go-Becher umfüllen können. Dumm nur, wenn die eigene Dose zuhause im Schrank verstaubt.
Die verschiedenen Mehrweg-Anbieter im Vergleich
Vytal & Recup im Selbsttest
Soweit die Theorie, jetzt folgt die Praxis. Ich möchte beide Systeme einmal ausprobieren und lade mir sowohl Vytal und als auch RECUP/REBOWL als App herunter. Ich bin erstaunt, wie viele Anlaufstellen beide in meiner direkten Umgebung haben.
Vytal
Als erstes teste ich Vytal. Die App habe ich ja bereits, ein passendes “Testobjekt” habe ich mir auch schon ausgeguckt. Jetzt muss ich mich nur noch registrieren und meine Kreditkarte hinterlegen. Das ist echt easy und dauert keine Minute.
Nach einem kurzen Anruf zum Vorbestellen stehe ich wenige Minuten später bei Buhjah Bowls und warte auf mein Essen. Der kleine Laden ist direkt bei uns um die Ecke und bietet unter der Woche in der Mittagspause von 12 bis 15h bunte Bowls und Salate an. Die Gerichte werden frisch zubereitet, sind vegan, gluten- und zuckerfrei und können im Mehrweg bestellt werden. (Wirklich ein Geheimtipp für alle Bahrenfelder, so lecker!).
Ich bin an der Reihe. Ich halte Kerstin mein Handy hin und sie scannt den QR-Code in der Vytal-App. Direkt bekomme ich eine Pushmeldung, dass ich Timm und Sigutis ausgeliehen habe. Ich bezahle und nehme die beiden Bowls in Empfang. So einfach ist das also.
Als ich zuhause die Boxen auspacke, merke ich einen weiteren Unterschied zu herkömmlichen Einwegverpackungen. Die Behälter standen nämlich etwas schief in meiner Tasche und es hat den Inhalt ordentlich durchgeschüttelt. Kein Problem, der Deckel sitzt fest auf der Schüssel. Hier läuft nichts mehr aus.
Einige Tage später bringe ich die beiden Vytal Bowls zurück. Vergessen konnte ich das quasi nicht. Die App schickt nämlich zur Erinnerungen Pushbenachrichtigungen. Wer die 14-Tage-Frist dann doch verstreichen lässt, hat es meiner Meinung nach echt drauf angelegt 😉
Recup
Letztes Wochenende testen wir dann auch noch relativ spontan die Pfandbecher von Recup. Mein Bruder und seine Freundin sind zu Besuch und wir spazieren nach Ottensen. Es ist Pfingstmontag, die Sonne scheint, wir haben Lust auf einen Kaffee.
Es ist noch früh. Wahrscheinlich steht deswegen vor El Rojito in der Großen Brunnenstraße noch keine Schlange bis um die nächste Straßenecke. Der Duft von frischem Kaffee steigt uns in die Nase. Geht es nur mir so oder riecht solidarisch gehandelter Kaffee einfach besser?
Wenig später stehen wir, jede:r mit einem dampfenden heißen Kaffee im Recup-Becher, wieder draußen. Die Becher haben wir für jeweils 1€ Pfand geliehen. Langsam schlendern wir zum Park hinüber und setzen uns in die Sonne. Wir schnacken, lachen und genießen unseren Kaffee. Corona ist uns gerade schnurzpiepegal.
Später geben wir die Becher wieder bei El Rojito ab und bekommen unser Pfand zurück. Ziemlich praktisch, so ganz ohne App. Ich glaube, für Becher finde ich die traditionelle Pfandvariante besser, weil es so unkompliziert ist. Aber wahrscheinlich würde ich auch eine App nutzen.
Ich wünsche mir weniger Verpackungsmüll
Je länger ich drüber nachdenke, desto absurder finde ich es, dass wir Einwegverpackungen für normal halten. Vor allem beim Takeaway. Schließlich besteht deren einziger Nutzen darin, die Speisen sicher vom Lokal nach hause zu transportieren. Und je nach Verpackung klappt das ja eher so semi gut.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass es völlig normal ist, die bestellten Gerichte im mitgebrachten Mehrwegbehälter wieder mitzunehmen. Das ist übrigens trotz Corona weiterhin erlaubt, wenn man es richtig macht.
In den Pfandsystemen sehe ich eine gute Ergänzung, wenn uns unterwegs der spontane Hunger überkommt. Mein Selbsttest hat mir gezeigt, wie einfach das Ausleihen der Mehrwegbehälter funktioniert, egal für welches System sich die Gastronom:innen entscheiden.
Ich könnte mir zwei Dinge vorstellen, die der breiten Akzeptanz von Essen im Mehrweg kurzfristig im Weg stehen: Selbst in so einer großen Stadt wie Hamburg haben einige Anbieter nur wenige Partner und somit wenig Rückgabestellen. Kann ich sicher sein, dass ich Pfandbecher oder -box bei mir zuhause wieder abgeben kann, wenn ich länger unterwegs bin? Sobald die Mehrwegpflicht da ist, wird sich das Problem jedoch wahrscheinlich schnell von alleine erledigen, denke ich.
Beim zweiten Punkt bin ich mir nicht so sicher: Das ist nämlich die relativ große Anzahl an Anbietern. Ich kann mir vorstellen, dass viele keine Lust haben drei verschiedene Apps auf dem Handy zu haben und jedes Mal nachschauen zu müssen, wo genau ich meine geliehenen Becher zurückbringen kann. Wie seht ihr das? Würde euch das stören?
Mehrweg hat auch Vorteile für die Gastronomie
Heimlich hoffe ich ja, dass sich auch die ein oder anderen Hamburger Gastronom:innen sich auf unseren noch jungen Blog verirren. Wenn ihr euch jetzt angesprochen fühlt, lasst euch versichert sein, dass die Mehrwegsysteme auch für euch viele Vorteile bieten.
Im Vergleich zu Einwegverpackungen rechnen sich die Mehrwegsysteme schon nach wenigen Verwendungen. Sie schonen nicht nur das Klima, sondern langfristig auch euren Geldbeutel. Außerdem erhöhen sie die Berührungspunkte mit eurer Kundschaft, ihr könnt die Rückgabemomente nutzen, eure Kund:innen besser kennenzulernen. Und zuletzt mein Lieblingsgrund: ihr haltet eure Nachbarschaft rein. Das ist nicht nur gut fürs Image, sondern erspart euch und euren Angestellten auch Überstunden und lästiges Aufräumen (talking from experience).
Lust auf Mehrweg
Ich hoffe, ich habe die Lust auf Essen im Mehrweg in euch geweckt. Nach meinem Praxistest bin ich auf jeden Fall Fan und freue mich auf 2023. Mehrwegbehälter haben für alle – Kund:innen, Gastronom:innen und Umwelt – so viele Vorteile, dass es fast schon absurd ist, dass wir nicht eher drauf gekommen sind.
Ab jetzt werde ich darum bitten, meine eigenen Behälter mitbringen zu dürfen, wenn ich Essen bestelle. Und gezielt nachfragen, ob sie Mehrwegbehälter verleihen, wenn mich unterwegs der spontane Hunger überkommt. Ihr auch? Teilt gerne eure Erfahrungen in den Kommentaren!