Kennt Ihr Akira Miyawaki und seine Tiny Forests? Könnt Ihr Euch vorstellen, dass eine Handvoll Leute ohne Ausbildung in zwei Stunden einen Wald pflanzen? Und wisst Ihr, dass es einen Verein gibt, der in Hamburg und Umgebung Flächen aufforstet, und zwar nicht als Nutzwald, sondern als „Klimawälder“, die für lange Zeit CO2 binden sollen? Hört von „Citizens Forests“.

An einem Morgen im November

Ausgerechnet an diesem Wochenende muss der langersehnte erste Frost kommen. Ich schiebe mein Rad über eine Wiese nahe Quickborn, die völlig mit Rauhreif bedeckt ist. Das sieht im Morgensonnenschein wunderschön aus, aber ich fürchte kalte Füße und Triefnase, wenn ich jetzt stundenlang Bäume in den Acker pflanze.

Ich bin unterwegs zu einer Pflanzaktion von Citizens Forests. Dieser Verein, gegründet 2019, hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Menschen zum Bäumepflanzen zu bewegen. Pascal Girardot, einer der Gründer des Vereins, hat mir am Telefon erläutert, dass man dazu im Grunde nur drei Dinge braucht:

1. eine Fläche

2. Geld für Setzlinge etc.

3. Leute, die die Setzlinge pflanzen.

Da warten die Spaten

Davon sollen die Punkte 2. und 3. in Hamburg die kleineren Probleme sein. Um Flächen konkurrieren die Waldpflanzer mit Land- und Immobilienwirtschaft, aber dank zäher Verhandlungen mit der öffentlichen Hand oder der Unterstützung privater Landbesitzer konnten sie sich dennoch schon einige Flächen sichern. Groß müssen diese nicht sein. Citizens Forests pflanzt nach dem Konzept von Akira Miyawaki, einem japanischen Forstwissenschaftler, der Pflanzengemeinschaften untersucht hat. Nach seinem Konzept werden die Setzlinge wesentlich dichter gepflanzt als üblich, außerdem wird eine Mischung aus einheimischen Sorten verwendet. Dadurch entstehen Wälder, die zwar künstlich angelegt sind, aber vom Prinzip her natürlich entstandenen Artengemeinschaften gleichen und in denen zum einen die Pflanzen voneinander profitieren und zum anderen zahlreiche Tiere eine Heimat finden. Die kleinste sinnvoll bepflanzbare Fläche hat Herr Miyawaki als 60m2 ermittelt. Vergleicht das mal mit der Größe Eurer Wohnung, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie klein so ein Tiny Forest sein kann!

Wir pflanzen einen Tiny Forest…

Um herauszufinden, ob es wirklich so einfach ist, einen echten, lebendigen Wald zu pflanzen, habe ich mich auf der Website zur nächsten Aktion in meiner Nähe angemeldet. Und deshalb stapfe ich jetzt durch den klaren Herbstmorgen über die bereifte Wiese.

Ich bin tatsächlich eine halbe Stunde zu früh da, das ist mir lange nicht passiert. So kann ich die Vorbereitungen verfolgen. Einige Menschen in grünen Westen sortieren kleine Stöcke und legen sie büschelweise auf einem Stück Acker aus. Das sind die Setzlinge, die heute in die Erde sollen. Es sind viele, und sie sehen zum Teil echt winzig aus. Aber, erklärt man mir, das wird sich schnell ändern. Ein eingehegtes Landstück direkt neben der heutigen Pflanzfläche ist letztes Jahr angelegt worden, und trotz Hitze und Trockenheit in diesem Sommer stehen dort schon kleine Bäumchen, die ganz kräftig wirken.

Das sollen Bäume werden ?!

An einem Biertisch wärmt Anja (auch Gründungsmitglied und heute mit zwei Kindern hier) Kinderpunsch auf und stellt Butterkuchen bereit, um die Helfer zu versorgen. Ungefähr 70 haben sich heute angemeldet. Zu Beginn erläutert Carsten, einer der Helfer in Grün, wie es geht: Man bilde ein Zweierteam mit Spaten, gehe zur anderen Seite des Felds, grabe pro Setzling ein Loch, in das die Wurzeln komplett reinpassen, und setze alle Setzlinge aus einem Bündel in die Erde. Zwischen den Pflanzen sollen ungefähr 60 cm Abstand bleiben, größere und kleinere sowie die verschiedenen Arten sollen bunt durchmischt werden. Das war‘s auch schon an Instruktionen. Ein Landwirt aus dem Nachbarort hat die Grasnarbe am Vortag abgefräst, so dass die weiche braune Erde offenliegt. Zum Glück hat der Nachtfrost nicht ausgereicht, um den Boden gefrieren zu lassen. Zur Verfügung gestellt hat die Fläche ein befreundeter Verein.

Freiwillige bei der Arbeit
So geht es los.

Ich finde rasch einen Partner, doch kaum haben wir angefangen, gibt es noch eine Unterbrechung. Herr Zobel von der Sparkasse Rellingen ist da, und ein Redakteur von der Mopo, und die wollen nicht nur Bäume pflanzen, sondern verleihen Citizens Forests den Preis als „Bessermacher des Jahres“. Einen schönen Scheck gibt es auch dazu, und reichlich Applaus.

Danach legen wir aber los. Ein Loch, das groß genug für die Wurzeln ist, ist meistens mit einem Spatenstich geschafft. Noch einmal das nachkrümelnde Erdreich rausschaufeln, und schon kann der Mini-Baum in die Erde. Zuschütten, antreten, fertig. Es geht schnell und ist nicht mal anstrengend! Das Feld wimmelt von Menschen, schnell füllt es sich mit den kleinen Setzlingen. Neben uns arbeitet eine Familie. Sie rätseln über die Baumarten: „Das hier ist eine Eiche. Hat sich doch gelohnt, dass ich in Bio aufgepasst habe!“ Schwieriger wird es bei Setzlingen ohne Blätter, eigentlich nur Stöckchen mit Wurzeln unten dran. Eindeutig ein Bonsai?! „Papa, mach keine blöden Witze!“ Also, die haben jedenfalls Spaß.

… und danach gibt’s Butterkuchen

Aber es ergeben sich auch ernsthaftere Gespräche. Eigentlich alle, die hier arbeiten, machen sich Sorgen um den Zustand der Welt und wollen vor der eigenen Haustür etwas tun. Wir sprechen über die Zersiedelung von Hamburgs Umland, Tierarten in den Gärten, und die Schwierigkeit, von Niendorf nach Quickborn ohne Auto zu kommen. Trotzdem haben alle gute Laune. Die gemeinsame Arbeit für die gute Sache, die kalte Luft, Sonnenschein und dazu noch ein Stück vom wirklich sehr leckeren Butterkuchen zwischendurch – es ist eine fröhliche Weise, den Vormittag zu verbringen.

Ein kleiner Baum
Unser erster gepflanzter Baum!

Nachdem die gesamte Fläche mit kleinen Bäumchen bestückt ist, habe ich noch ein Büschel über. Pascal sagt mir, ich soll nach Lücken suchen – alles soll in die Erde! Mit ein paar anderen Helfern zusammen finde ich noch eine Fläche am Rand, in der jeder Stecken unterkommt. Währenddessen haben andere schon begonnen, die Zaunpfähle in den Boden zu rammen. Das ist Handarbeit und geht mit einem Gerät, dass ein bisschen aussieht wie ein Spaghettikochtopf von Raumschiff Enterprise. Klonk-klonk-klonk. Der Landwirt kommt mit dem Trecker vorbei und bringt Strohballen. Die werden auseinandergerupft und auf der gesamten Fläche verteilt. Die Kinder, die gerade anfingen, etwas weniger Lust zu haben, sind jetzt wieder sehr engagiert! Hinterher haben alle Stroh in den Haaren und der Boden ist vollständig bedeckt. Dieses Mulchen schützt den Boden davor, auszutrocknen oder zu überhitzen. Später werden das die Bäume selbst übernehmen, wenn ihre Zweige ein Laubdach bilden, das den Boden beschattet.

Wir sind gerade mal zwei Stunden dabei, und schon so gut wie fertig. Als letztes nageln ein paar Helfer den Drahtzaun fest, während der Rest sich um den Butterkuchen kümmert.

Zaunbau unter dräuendem Himmel
Fast fertig.

Wie kam es zu Citizens Forests?

Jetzt haben Pascal und Boris auch Zeit, mir ein bisschen was über ihre Arbeit zu erzählen. Wobei, Arbeit: Der Verein ist vollständig ehrenamtlich organisiert, alle Beteiligten haben auch einen regulären Job und Familie. Es muss also wirklich Herzblut sein, was sie antreibt, sich so zu engagieren!

Pascal berichtet, dass Klimaschutz für ihn schon länger ein wichtiges Thema gewesen sei. Auch von Miyawaki und seinen Ansätzen hatte er schon mal gehört. Zwei Ereignisse brachten dann die Zündung zur Idee: zum einen wurde er Vater, und zum anderen trat in Frankreich der Umweltminister Nicolas Hulot frustriert zurück, weil er, wie Pascal erzählt, die Unterstützung aus der Bevölkerung vermisste, die in ökologischen Dingen so dringend notwendig sei. Damit wurde ihm klar: Die Menschen müssen vor Ort etwas tun können. Diese Möglichkeit will Citizens Forests schaffen. Jetzt übernimmt Boris die Erzählung. Er hörte bei einer Bauausschusssitzung (ausgerechnet!), was Pascal erzählte und dachte: Der Mann hat so recht, warum hilft dem keiner?

Stohballen mit Leuten drum
Volksrede vom Strohballen? Nee, bloß Anleitung zum Mulchen.

Und damit waren sie schon zu zweit. In einer nächtlichen Sitzung wurde die Website erstellt, und bereits sechs Wochen später starteten sie die erste Pflanzaktion. Seitdem sind der Verein und die Anzahl der Aktionen stetig gewachsen. Natürlich machte Corona die Durchführung von Aktionen nicht gerade leichter. 2019 fand trotzdem zum 3. Oktober die zweite Pflanzaktion statt, im Rahmen des „Einheitsbuddelns“, mit dem Daniel Günther als schleswig-holsteinischer Ministerpräsident eine neue Tradition begründen wollte. Citizens Forests stemmte aus dem Stand die mit 120 Personen größte Veranstaltung an diesem Tag! 2020 war das Einheitsbuddeln denn auch die einzige Aktion überhaupt, die stattfinden konnte: Mit einer Fläche von gerade mal 8 x 8 m² pflanzen die Citizens den kleinsten Miyawaki-Wald Deutschlands. 2021 ging es wieder aufwärts, und im Herbst wurden bei fünf Gelegenheiten Bäume gepflanzt. Besonders wichtig dabei ist, dass in diesem Jahr zum ersten Mal eine Pflanzung stattfand, die Citizens Forests nicht selbst durchgeführt haben, sonderbei der sie nur unterstützend und beratend zur Seite standen. Denn das ist das Ziel: Nicht unbedingt selbst Unmengen von Bäumen pflanzen, sondern den Gedanken in die Köpfe kriegen, dass jeder es tun kann!

Eingezäunte Fläche, mit Stroh bedeckt
Der Wald gepflanzt, der Boden gemulcht. Wir wünschen gutes Wachstum!

Wohin die Reise geht

Wenn man das versteht, begreift man auch, dass die großen Pläne des Vereins nicht unrealistisch sind. Für 2024 streben sie 500 Projekte an. Schon jetzt ist der Verein nicht mehr auf Hamburg und Umgebung beschränkt. Es gibt Projekte in ganz Deutschland, außerdem in Österreich und Frankreich. Die Zeit ist offensichtlich reif für diesen Ansatz. Das zeigt sich auch in Veranstaltungen, die die Citizens besuchen; unter anderem forstwissenschaftliche Tagungen und den „WaldKlimaGipfel“ unter Beteiligung von Peter Wohlleben.

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Mein Fazit, nachdem ich bei der Aktion mitgemacht habe und ein wenig mit Pascal und Boris gesprochen habe: Es ist wirklich einfach. Bei Mindestmaßen von 64 m² lassen sich auch Brachen in der Stadt effektiv bepflanzen. Die jungen Setzlinge sind nicht teuer (eine zweijährige Buche kostet z.B. ungefähr einen Euro), die Mühe beim Pflanzen ist kaum der Rede wert, und die Studien an bereits gepflanzten Miyawaki-Wäldchen zeigen, dass das Konzept funktionieren kann. Die Wälder leben und sind Lebensraum für Tiere, die von selbst darin einwandern. So fand sich z.B. in einem der jungen Wälder von Citizens Forests schon die Rote Waldameise ein.

Aber neben CO2-Bindung und Erhalt der Biodiversität hat das Wälderpflanzen noch einen dritte Dimension, die Pascal unterstreicht, nämlich die gesellschaftliche. Der gemeinsame Einsatz für eine sinnvolle Idee verbindet die Bürger und lässt sie ihre Wirksamkeit erfahren. Denn er sieht die große Gefahr, dass unter dem Druck der Zumutungen, die der Klimawandel mit sich bringt und bringen wird, der gesellschaftliche Zusammenhalt vor die Hunde geht. Die Kluft zwischen denen, die sich vor Hitze und anderen Bedrohungen schützen können, und denen, die dem ausgeliefert sind, weil ihnen die Ressourcen fehlen, wächst, auch im reichen Deutschland. Gemeinsam gegen die Gefahren anzupflanzen, bringt dagegen zusammen. Wir werden das brauchen.

PS: Das kleine Wäldchen auch prima in der Stadt wachsen können, zeigen Goldeimer und ihr Kackewald!